Entnommen dem Zürcher Tages-Anzeiger vom 3. August 1996 (Seite 11):
Ein Spontankauf und dann das Käfig-Elend
Artgerechte Tierhaltung beginnt vor dem Kauf - dafür gibt es Beratungsstellen
Menschliche Kuschelbedürfnisse, Erlebnismangel und Unwissen sind schlechte Voraussetzungen für den Kauf eines Heimtieres. Besser wäre es, zunächst Rat zu holen.
Eine ganze Reihe von Tierarten ist für die herkömmliche Heimtierhaltung im Grunde nicht geeignet: Hamster, Chinchillas, Meerschweinchen, Zwergkaninchen, Schildkröten, Streifenhörnchen, Papageien usw. Um tiergerechte Voraussetzungen zu schaffen, braucht es Zeit und Geld.
Hamster als "Antriebsmotor"
Der Regelfall sieht leider anders aus: falscher Käfig, falscher Käfigplatz, falsche Sozialstruktur im Käfig. Und die Folgen? Die Käfigtiere hacken sich blutig, rupfen sich nackt, leiden an Rachitis und Geschwüren, verhalten sich kannibalisch, gebären missgebildete Junge, leiden an Infektionen, abnormer Krallenbildung und übergewachsenen Zähnen, an Depression und Aggression. Der Goldfisch im Rundglas verblödet, für die derzeit "modischen" Rennmäuse gibt es gar keinen angemessenen Käfig. Und Gipfel der Greuel ist zurzeit ein Auto mit Plastiktrommel, in welcher ein laufender Hamster den Antriebsmotor spielen muss - bis er durchdreht.
Tiergerechte Käfige kosten
Fragwürdig ist zudem, dass heute jedes Warenhaus "Minimalistenkäfige" verkaufen darf. Nun soll per Gesetz der Druck auf die Käfigproduzenten verstärkt werden. Wer für 100 Franken einen tiergerechten Käfig will, bekommt ihn nicht. Ein vom Schweizer Tierschutz entwickeltes offenes Meerschweinchen-Vivarium für die Wohnung kostet knapp 400 Franken. Für den kleinen Garten gibt's kleine, für den grossen weitläufigere Gehege.
Andere Käfige oder Gehege allein versprechen allerdings keine Besserung. Sittich, Hamster oder was auch immer sind für ihre Besitzer zuerst einmal unbekannte Wesen. "Es hilft nur eines: Aufklärung, Information", betont Kantonstierärztin Regula Vogel. Ethisch vertretbare Heimtierhaltung beginne vor dem Kauf: "Bevor ich ein Tier kaufe, muss ich zuerst etwas von ihm und seinen Bedürfnissen wissen." Diese Aufklärung will das Veterinäramt schon bald mit Projektarbeit vorantreiben: über Medien, Tierärzte, Lehrer und Zoofachhändler.
Zweckmässige Ratschläge erteilen gute Zoofachhändler und der Zürcher Tierschutz. Eine Spezialistin ist aber auch die Tierarztgattin Ruth Morgenegger in Obfelden mit ihrem "Nager-Telefon 157 52 31". In ihrem grossen Garten stehen zudem ein Dutzend modellhafter Freilaufgehege mit Meersäuli, Kaninchen, Hasen und Hamstern.
Von wegen "pflegeleicht"
Ruth Morgenegger gibt Merkblätter heraus, informiert über Haltungsformen, den Gehegebau, Verhaltensprobleme und Sozialstruktur: "Meersäuli und Kaninchenweibchen sollte man nie einzeln halten, Hamster hingegen sind Einzelgänger."
Tierarzt Göpf Morgenegger begegnet nicht selten ratlosen Heimtierhaltern und verstörten Heimtieren - die Folge von Unwissenheit und Missverständnissen. Ruth Morgenegger weist etwa darauf hin, dass die Meerschweinchen Fluchttiere sind, die Hamster hingegen Nachttiere: "Sie wollen weder gestreichelt noch gekuschelt werden, sie sind weder pflegeleicht noch anspruchslos." Und sie eignen sich zur Beobachtung, nicht aber zum Spiel. (dbs.)
Meersäuli sind keine Kuscheltiere
Chinchillas, Zwergchüngel, Vögel, Fische: In Zürcher Haushalten leben Hunderttausende, ihr Schutz ist kaum gewährleistet
In 52 Prozent aller Schweizer Haushalte leben Heimtiere. Gezählt wären es allein im Kanton Zürich gegen eine Million Hunde, Katzen, Kleinnager, Vögel, Fische. Wie vielen es schlecht geht, ist unbekannt. Das Tierschutzgesetz greift nicht - oder zu spät.
VON BERND STEINER
Wie das Tierleben hinter verschlossener Wohnungstür, womöglich im Käfig, aussieht, ist weithin unbekannt. Dem Hund, der seinem Bewegungsdrang mit grossem Auslauf und langen Spaziergängen frönen kann, steht die Katze gegenüber, die 14 Stunden täglich allein in der Wohnung vegetiert. "Das sieht niemand", sagt Kantonstierärztin Regula Vogel, "und die Nachbarkontrolle spielt auch nicht. Es dringt wenig zu uns." Die Folgen zeigen sich dann gelegentlich beim Tierarzt.
Seit Wochen versucht Otto K., seinem Papagei "diese komische Selbstrupfung auszutreiben. Aber der checkt das einfach nicht." Otto K. indes checkt nicht, dass er seinen Papagei foltert: zu kleiner Käfig, aufgestellt neben dem Fernseher, keine Beschäftigung, Einzelhaft. Otto K. ist tierliebend und traurig, er will doch nur das Beste. Aber von Verhalten und Biologie des Papageis hat er keine Ahnung.
"Das ist das Alltagsproblem", sagt Kantonstierärztin Regula Vogel, "dass Tierarten, die sozial leben, einzeln gehalten werden." Der Tierhalter solle nicht meinen, er könne Ersatz sein. Der mindestens zu Paaren lebende Papagei verrottet innerlich an seiner Einsamkeit. Regula Vogel: "Es kann dramatisch enden - in Selbstzerstörung."
Der Spontankauf
Eigentlich wollte Rösli G. nur Schuhe kaufen. Dann stand sie vor der Zoo-Fachhandlung. Wenig später hatte ihr achtjähriger Mario seinen so lange ersehnten Hamster samt Käfig, 40 x 25 Zentimeter, und war glücklich. "Du musst ihn aber selber pflegen", lautete die Weisung.
Mehr, als dass er nun Max heisst, wissen weder Mami noch Papi von ihrem Hamster, und Mario wundert sich, dass sein Felltierchen partout nicht spielen will. "Spontankäufe sind das schlimmste und Hamster als Heimtiere für Kinder völlig ungeeignet - die sind nämlich nachtaktiv", betont Regula Vogel. Marios ständig gestresster Hamster versank nach wenigen Wochen in Apathie und Depression.
Heimtierhaltung gehört offensichtlich zu einer wohlhabenden Bevölkerung. Ausserdem wirke sie bei Kindern erzieherisch, helfe soziales Verhalten einüben, Beziehungen aufbauen, Verantwortung übernehmen. Regula Vogel schränkt ein: "Kinder unter zwölf sind allein nicht in der Lage, Tiere zu betreuen." Das Ehepaar B. würde auch dem widersprechen. Mit 14 erhielt Urs seine Chüngel, zwei Jahre später wurden sie ihm total gleichgültig. Die Begeisterung für ein Heimtier kann leidenschaftlich aufflammen und ebenso rasch wieder erlöschen.
Kontrolle nicht machbar
Die Zahlen sind erstaunlich. Nach Hundemarken abgezählt, halten sich die Zürcher fast 55 000 Fifis, Bellos und Barrys, die Katzenschar liegt irgendwo zwischen 100 000 und 200 000. Kaninchen, Meersäuli, Hamster, Chinchillas, Streifenhörnchen, Schlangen, Ratten, Mäuse, Käfigvögel und Aquarienfische machen mehrere hunderttausend aus, genau weiss es niemand. Ein einziger Zürcher Importeur setzt allein jährlich 300 000 Aquarienfische um.
"Theoretisch haben wir das Recht, jede Tierhaltung zu kontrollieren", betont Regula Vogel, "aber das ist weder machbar noch sinnvoll." Gesetzesvollzug bedeute auch nicht zwingend systematische Kontrolle, ausser beim Zoo-Fachhandel und dessen Lehrlingsausbildung.
Als es vor über zehn Jahren um den Nutz- und Heimtierschutz ging, zogen nicht wenige Kantonstierärzte die Köpfe ein: Man könne doch den Leuten ihre Haustiere nicht wegnehmen, älteren Menschen, die in Hund, Katze oder Wellensittich ihre einzige "Sozialbeziehung" hätten, schon gar nicht.